Der Janzen-Connell-Effekt ist ein Ansatz, um auf kleinflächigem Level (< 1 ha) die hohe Baumartendiversität in tropischen Regenwäldern und das Überleben von einer Vielzahl von koexkistierenden Spezies zu erklären. Auf einer noch kleineren Ebene greifen andere Mechanismen, bspw. direkte Konkurrenz, bei höherer Auflösung spielen z.B. Verbreitungsgrenzen, genetische und standörtliche Unterschiede eine Rolle. Benannt wurde er nach den Ökologen Daniel Janzen und Joseph Connell, die unabhängig voneinander Anfang der 70er Jahre die Hypothese publizierten, wobei Connell eher die Effekte der Distanz untersuchte, während Janzen sich ausserdem auf den Einfluss der Individuendichte konzentrierte.
Kurz gesagt sagt der Janzen-Connell-Effekt aus, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit einer Jungpflanze umso höher ist, desto weiter sie von dem sie hervorgebrachten adulten Individuum entfernt wächst. Wirtspezifität spielt in den Tropen eine große Rolle und wird häufig als einer der Gründe für die hohe Artenvielfalt dort genannt, und genau davor schützt die Distanz zu Artgenossen: Von den gleichen Pathogenen befallen oder von wirtsspezifischen Herbivoren geschädigt zu werden, da diese u.a. weitere Artgenossen zu der begehrten Nahrungsquelle führen können (bspw. durch chemische Botenstoffe).
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Der Janzen-Connell Effekt beschreibt die erhöhte Überlebenswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von der Entfernung eines Nachkommen zu seinem Elterbaum. Aus JANZEN (1970) |
Gibt es in einem Gebiet viele verschiedene Baumarten, so ist es logisch, dass die durchschnittlichen Abstände zwischen Individuen der selben Art größer sind als in einem vergleichbaren Gebiet mit im Mittel weniger Arten. Natürlich kann es vorkommen, dass mehrere Individuen der selben Art nebeneinander wachsen, schließlich gibt es auch in den Tropen häufigere und seltenere Arten, die Realität zeigt aber, dass die Verteilung generell heterogener ist als z.B. in einem hiesigen Buchenwald. Die Dichte einer Baumart pro Fläche ist also geringer, da die Distanz zwischen ihren Individuen größer ist.
Long distance dispersal, also die Verbreitung von Samen über eine große Distanz, ist nicht ungewöhnlich im Pflanzenreich. Verschiedene Mechanismen wie morphologische Anpassungen an Windverbreitung, Ausbildung von belohnendem Fruchtfleisch für die Nutzung von Tieren als Verbreitungsvektoren oder schwimmfähige Samen wie bei der Kokosnuss, die sich sogar über Inseln und Kontinente verbreiten kann, singen ein Lied davon. Auch hier ist natürlich zu beachten, dass die Wahrscheinlichkeit, über eine größere Distanz zu dem Elterbaum verbreitet zu werden, immer kleiner wird, desto größer diese Distanz ist, was wiederum bedingt, das schädigende Organismen wie halt spezifische Herbivoren in der näheren Umgebung einer bestimmten Art auch weitere Individuen derselben finden (= distance-response). Density-response behandelt den Effekt der Häufigkeit von Individuen einer Art an einer bestimmten Stelle, wobei die Distanz zu Elterbaum keine direkte Rolle spielt. Dies können zum Beispiel Stellen sein, an denen sich mehrere adulte Bäume nahe stehen und sich so die Bereiche, in denen ihre Samen zu Boden fallen, überlappen. Distanz- und Dichteabhängigkeiten werden von SWAMY & TERBORGH (2010) definiert als "
inter-trophic interactions that cause a disproportionate mortality of conspecific seeds, seedlings and other juvenile individuals in comparison to other species caused by host-specific predators around a parent tree".
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Zuckerrohrplantage umgeben von atlantischem Regenwald, welcher auf Hügelkuppen konzentriert ist. Deutlich zu sehen ist der strikte Übergang zwischen den unterschiedlichen Habitaten. Foto aus Coimbra, dem größten Mata Atlântica-Komplex im Nordosten Brasiliens |
In meinem Projekt ging es neben dem Janzen-Connell-Effekt auch darum, den Einfluß des sogenannten
edge effects
zu testen, welcher aussagt, dass (bezogen auf Regen-)Wälder an ihren Rändern durch
den Einfluß von hereinfallendem Licht und Wind sowie einwandernden Arten
aus umliegenden Ökosystemen durch andere Bedingungen bestimmt sind als Kerngebiete weiter im Inneren eines Waldes. Er tritt in der Übergangszone zweier unterschiedlichen Habitate auf.
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Lage und Übersichtskarte von Coimbra |
Der atlantische Küstenregenwald an der brasilianischen Küste ist einer der Hotspots der Biodiversität, was bedeutet, dass sich dort eine hohe Biodiversität befindet, und dass deren Habitat zu mindestens 70 % schon verloren ist. Hohe Diversität bedeutet, dass mindestens 1500 endemische Pflanzenartenvorkommen, dort sind es noch ca. 8000, was 2,7 % der Gesamtartenzahl entspricht. Bei den Wirbeltieren sind es 567 Arten (2,1 %). Es gibt dabei verschiedene "Areas of endemism", in denen eine besonders hohe Artenvielfalt herrscht, so z.B. in einigen Regionen im Bundesstaat Bahia, wo auf einem Hektar über 400 Baumarten gefunden werden können, von denen ein Viertel endemische Arten darstellen.
Vom atlantischen Regenwald sind nach Schätzungen noch ca. 10 % des ursprünglichen Areals erhalten. Und diese sowieso schon geringe Zahl wird noch dramatischer, wenn man bedenkt, dass es sich dabei nicht um ein zusammenhängendes Gebiet handelt, sondern um viele kleine, die z.T. sehr weit voneinander entfernt sind und sich oft auf Hügelkuppen beschränken, da man dort keine Landwirtschaft betreiben kann (s. Foto oben). Vorherrschend ist in Nordostbrasilien der Anbau von Zuckerrohr (
Saccharum officinarum) zur Herstellung von Speisezucker und Bioethanol. Durch die Fragmentierung von Habitaten erhöht sich auch das Verhältnis von Umfang zur Fläche - ein großes Waldgebiet hat weniger Randbereiche als viele kleine. Dies erhöht somit auch den Einfluss des
edge effects, und in vielen kleinen Fragmenten des atlantischen Regenwalds bleibt kaum noch Platz für ungestörte Kernflächen, die unbeeinflusst von äußeren Einflüssen bleiben. Dies stellt natürlich auch für die Fauna ein großes Problem dar, als bekanntes Beispiel sei hier auf den Fall des Goldenen Löwenäffchens (
Leontopithecus rosalia) verwiesen. Durch eben die Fragmentierung des atlantischen Regenwalds wurde das Habitat dieser Art so weit verkleinert, dass es am Rande des Aussterbens stand und nun durch Zucht- und Wiederaussiedlungsprogramme versucht wird, die Populationen zu vergrößern. Auch die illegale Jagd ist ein Problem, da die ohnehin gestörten Populationen größerer Herbivoren zusätzlich dezimiert werden. Durch ihre soziale Lage sind jedoch viele Menschen gezwungen, auf diese zusätzliche, günstige Nahrungsquelle zurückzugreifen. Ich finde, man kann die Schuld hier nicht abladen, denn wäre der Wald ungestört und zu großen Teilen in gutem Zustand erhalten, wäre die Entnahme von Lebewesen zur Nutzung, wie es ja traditionell immer war, auch kein Problem. Aber das hilft den heute bedrohten Tier- und Pflanzenarten auch nicht, daher ist das Schaffen eines Bewusstseins durch (Umwelt-) Bildung unabdingbar für eine nachhaltige Entwicklungsstrategie.
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Waldrand |
Blattschneiderameisen (Gattungen
Atta und
Acromyrmex) haben einen großen Einfluss auf die Vegetation. Durch ihre Aktivitäten lichten sie das Blätterdach des Waldes und erhöhen so die Lichtmenge, die in die unteren Schichten des Regenwaldes fällt. Durch ihre große Zahl können sie dadurch sogar Pflanzengesellschaften verändern, so dass lichtbedürftige Pflanzen, die sonst eher als Pioniere auf gestörten Flächen wachsen, eine Chance haben, sich zu etablieren. Nun gibt es auch gewisse Spezies von Blattschneiderameisen, die genau auf solche Störungen reagieren und vor allem an Waldrändern anzutreffen sind, da die dort anzutreffenden Pioniergewächse schnell wachsen, sich aber häufig nicht so effektiv verteidigen wie Baumarten, die sich in der Klimaxvegetation einstellen. Kolonien von Blattschneidern können jährlich 35 Tonnen Laub ernten bzw. 13 % des stehenden Blattmaterials in ihrem Habitat verbrauchen. Die großen Mengen von Blättern sammeln sie, um Pilzgärten zu unterhalten, mit denen sie in einer symbiotischen Beziehung leben.
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Auch sonst läuft einem das ein oder andere Viech über den Weg... |
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...daher ist bei der Feldarbeit besondere Vorsicht notwendig. Größere Tiere begegenen einem aber so gut wie gar nicht, viele Säugetiere werden auch aktiv bejagt |
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Bezeichnend: Das Logo der NGO "SOS Mata Atlântica" (Quelle: www.sosma.org.br) |
Um diesen Effekt zu testen, markierten wir 1030 juvenile Baumindividuen in sieben Dauerflächen (20 x 20 m) in einem großen Patch von atlantischem Regenwald im nordöstlichen Bundesstaat Alagoas in Brasilien (Coimbra, s. Karte oben). Juvenile haben wir definiert als alle Individuen, die zwischen 100 und 250 cm hoch sind. Die Dauerflächen wurden als Koordinatensysteme genutzt (quasi von oben gesehen), so dass jedem Baum eine Punktkoordinate zugeordnet wurde, um Aussagen über die Abstände machen zu können. Von jedem markierten Baum wurde ausserdem ein repräsentativer Astabschnitt mit Blättern abgeschnitten und mitgenommen, um Individuen derselben Art erkennen zu können. Ausserdem wurde der Brusthöhendurchmesser für jedes juvenile Individuum gemessen.
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Viel Material ist nicht nötig: Utensilien zum Aufschreiben, Höhe und Brusthöhendurchmesser aufnehmen, Bäume markieren, Plots einmessen und Proben nehmen |
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Ecke eines Plots |
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Ein markierter juveniler Baum |
Die Proben wurden dann von mir einander zugeordnet, und zwar nach morphologischen Merkmalen (= Morphotypen). Nun ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich dort Fehler eingeschlichen haben, schließlich hatte ich nur Astabschnitte zur Verfügung und keinerlei Ahnung von der Bestimmung tropischer Bäume. Trotzdem ließ sich das Ganze einigermaßen gut bewerkstelligen (nach eigenen Maßstäben). Die Proben hatten ja alle eine Nummer, so dass im Anschluss über das erstellte Koordinatensystem und ein bisschen Mathe (sowie Computerhilfe) die Abstände zwischen Individuen in Metern ermittelt werden konnte.
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Zuordnen von Pflanzenproben zu Morphotypen, also nach optisch identischen Merkmalen |
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Realer Plot |
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Erstellte Karte mit Vermerken aller juvenilen Baumindividuen desselben Plots |
Nach der Annahme, dass Individuen häufigerer Baumarten (in dem Fall also die Morphotypen) im Mittel eine geringere Distanz zueinander haben, müsste man eine Korrelation zwischen der mittleren Distanz und der Häufigkeit finden. Diese ist in den aufgenommenen Daten so nicht zu finden (s. untere Abbildung). Bei einer perfekten Korrelation würde eine gedachte Trendlinie von links oben (wenig Individuen im Plot, daher großer Abstand zwischen diesen) nach rechts unten (viele Individuen im Plot, daher geringer Abstand zwischen diesen) verlaufen. Man kann aber erkennen, dass es viele Morphotypen gibt (denn für je einen steht ein Punkt in dem Koordinatensystem), die nicht häufig vorkommen, aber ganz verschiedenene Distanzwerte haben. Tatsächlich wurden von den 308 verschiedenen Morphotypen die meisten weniger als zehnmal in allen Plots gefunden, es wurden schließlich auch "nur" 1030 Individuen untersucht. Die höchste mittlere Distanz lag bei 14,64 m, die niedrigste bei 1,50 m. Der Korrelationskoeffizient, der das Maß der Linearität zwischen den beiden Variablen ausdrückt, lag bei ~0,1, jedoch war dieser Wert statistisch nicht signifikant (Irrtumswahrscheinlichkeit p > 0,5). Ein Korrelationskoeffizient von 1 würde bedeuten, dass ein perfekter positiver linearer Zusammenhang besteht, einer von -1 dasselbe in negativ. Beträgt er 0, so besteht kein (linearer) Zusammenhang. So viel zum Ergebnis, wobei hinzugefügt sei, dass ich zu der Zeit keinerlei Ahnung von Statistik hatte und mich so auf die Aussagen bzw. Vorgehensweisen von Zweiten berufen muss.
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Verhältnis von mittlerer Distanz konspezifischer Individuen zu deren Häufigkeit |
Was kann man nun davon mitnehmen? In Bezug auf den Janzen-Connell Effekt ist zu sagen, dass er natürlich nur eine Hypothese ist, die getestet werden kann, aber nicht stimmen muss. In der Literatur sind in der Tat gegenläufige Meinungen zu hören, es gibt sowohl Befürworter als auch Gegensprecher wie auch Experimente, die die Hypothese untermauern bzw. untergraben, wobei erstere überwiegen. Natürlich gibt es auch in der Methodik Ansatzpunkte,über die diskutiert werden kann, einmal natürlich die mangelnde Möglichkeit der genauen Identifikation (selbst Experten, welche sowieso ständig ausgebucht sind, haben Schwierigkeiten mit der genauen Artbestimmung), sowie der relativ geringe Stichprobenumfang. Es mag sein, dass bei einer größeren Zahl an gemessenen Individuen bzw. Plots ein genauerer Effekt herauszulesen ist. Ausserdem ging es hier nur um die Distanz von juvenilen Individuen zueinander, die adulten Bäume wurden vollkommen ausser Acht gelassen. Man weiß also nicht, von welcher Distanz diese in die Plots eingewandert sind bzw. ob überhaupt Elterbäume im Plot vorkommen. Die Samen von durch Tiere verbreitete Bäume können mitunter große Strecken zurücklegen, und die Plots haben eine Größe von 20 x 20 m. Auch die Gruppierung von Individuen derselben Art könnte dazu führen, dass trotz weniger Vorkommen eine geringe Distanz zwischen diesen besteht.
Die weiteren Ergebnisse (Einfluss des
edge effects - gleiche Analyse in Regenwaldfragmenten statt wie hier in einem großen Patch zum Vergleich) sind noch nicht veröffentlicht, daher kann bzw. darf ich an dieser Stelle nichts dazu sagen.
Ich möchte hier auch keine seitenlange Diskussion dazu schreiben, sondern wollte eher einen Einblick in die Arbeitsweise der tropischen Ökologie und einen Überblick über das Ökosystem Mata Atlântica und den Janzen-Connell Effekt geben. Für Menschen mit Interesse an dem Thema habe ich noch ein paar Quellen, in denen auch weiterführende Literatur angegeben ist, ans Ende gestellt.
Der Text dreht sich um Erfahrungen, die ich während meines
Praktikums am Laboratório de Ecologia Vegetal der Universität Recife
(UFPE) im Frühjahr und Sommer 2011 gemacht habe. Besonderer Dank geht an die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Marcelo Tabarelli, insbesondere an Edgar Silva, der mein Betreuer war und von dessen Doktorarbeit mein Projekt ein Teil war.
Weiterführende Quellen:
CLARKE, D. A. & CLARKE, D. B. (1984): Spacing Dynamics of a Tropical Rain Forest Tree: Evaluation of the Janzen-Connell Model. The American Naturalist
124: 769 - 788.
LEVEY, D. J., SILVA, W. R. & GALETTI, M. (2002): Seed dispersal and Frugivory: Ecology, Evolution and Conservation. CABI Publishing, Wallingford. 511 S.
JANZEN, D. H. (1970): Herbivores and the Number of Tree Species in Tropical Forests. The American Naturalist
104: 501 - 528.
MYERS, N., MITTERMEIER, R. A., MITTERMEIER, C. G., DA FONSECA, G. A. B. & KENT, J. (2000): Biodiversity Hotspots for conservation priorities. Nature
403: 853 - 858.
RIBEIRO, M. C., METZGER, J. P., MARTENSEN, A. C., PONZONI, F. J. & HIROTA, M. M. (2009): The Brazilian Atlantic Forest: How much is left, and how is the remaining forest distributed? Implications for conservation. Biological Conservation
142: 1141 - 1153.
SWAMY, V. & TERBORGH, J. W. (2010): Distance-responsive natural enemies strongly influence seedling establishment patterns of multiple species in an Amazonian rain forest. Journal of Ecology
98: 1096 - 1107.
TABARELLI, M., LOPES, A. V. & PERES, C. A. (2008): Edge-effects Drive Tropical Forest Fragments Towards an Early-Successional System. Biotropica
40: 657 - 661.
WIRTH, R., MEYER, S. T., ALMEIDA, W. R., ARAÚJO JR., M. V., BARBOSA, V. S. & LEAL, I. R. (2007): Increasing densities of leaf-cutting ants (
Atta spp.) with proximity to the edge in a Brazilian Atlantic Forest. Journal Of Tropical Ecology
23: 501 - 505.
Informationen des IUCN über das Goldene Löwenäffchen
Homepage der NGO SOS Mata Atlântica (portugiesisch)
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Micha