Kurz gesagt sagt der Janzen-Connell-Effekt aus, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit einer Jungpflanze umso höher ist, desto weiter sie von dem sie hervorgebrachten adulten Individuum entfernt wächst. Wirtspezifität spielt in den Tropen eine große Rolle und wird häufig als einer der Gründe für die hohe Artenvielfalt dort genannt, und genau davor schützt die Distanz zu Artgenossen: Von den gleichen Pathogenen befallen oder von wirtsspezifischen Herbivoren geschädigt zu werden, da diese u.a. weitere Artgenossen zu der begehrten Nahrungsquelle führen können (bspw. durch chemische Botenstoffe).
Der Janzen-Connell Effekt beschreibt die erhöhte Überlebenswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von der Entfernung eines Nachkommen zu seinem Elterbaum. Aus JANZEN (1970) |
Long distance dispersal, also die Verbreitung von Samen über eine große Distanz, ist nicht ungewöhnlich im Pflanzenreich. Verschiedene Mechanismen wie morphologische Anpassungen an Windverbreitung, Ausbildung von belohnendem Fruchtfleisch für die Nutzung von Tieren als Verbreitungsvektoren oder schwimmfähige Samen wie bei der Kokosnuss, die sich sogar über Inseln und Kontinente verbreiten kann, singen ein Lied davon. Auch hier ist natürlich zu beachten, dass die Wahrscheinlichkeit, über eine größere Distanz zu dem Elterbaum verbreitet zu werden, immer kleiner wird, desto größer diese Distanz ist, was wiederum bedingt, das schädigende Organismen wie halt spezifische Herbivoren in der näheren Umgebung einer bestimmten Art auch weitere Individuen derselben finden (= distance-response). Density-response behandelt den Effekt der Häufigkeit von Individuen einer Art an einer bestimmten Stelle, wobei die Distanz zu Elterbaum keine direkte Rolle spielt. Dies können zum Beispiel Stellen sein, an denen sich mehrere adulte Bäume nahe stehen und sich so die Bereiche, in denen ihre Samen zu Boden fallen, überlappen. Distanz- und Dichteabhängigkeiten werden von SWAMY & TERBORGH (2010) definiert als "inter-trophic interactions that cause a disproportionate mortality of conspecific seeds, seedlings and other juvenile individuals in comparison to other species caused by host-specific predators around a parent tree".
In meinem Projekt ging es neben dem Janzen-Connell-Effekt auch darum, den Einfluß des sogenannten edge effects zu testen, welcher aussagt, dass (bezogen auf Regen-)Wälder an ihren Rändern durch den Einfluß von hereinfallendem Licht und Wind sowie einwandernden Arten aus umliegenden Ökosystemen durch andere Bedingungen bestimmt sind als Kerngebiete weiter im Inneren eines Waldes. Er tritt in der Übergangszone zweier unterschiedlichen Habitate auf.
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Lage und Übersichtskarte von Coimbra |
Vom atlantischen Regenwald sind nach Schätzungen noch ca. 10 % des ursprünglichen Areals erhalten. Und diese sowieso schon geringe Zahl wird noch dramatischer, wenn man bedenkt, dass es sich dabei nicht um ein zusammenhängendes Gebiet handelt, sondern um viele kleine, die z.T. sehr weit voneinander entfernt sind und sich oft auf Hügelkuppen beschränken, da man dort keine Landwirtschaft betreiben kann (s. Foto oben). Vorherrschend ist in Nordostbrasilien der Anbau von Zuckerrohr (Saccharum officinarum) zur Herstellung von Speisezucker und Bioethanol. Durch die Fragmentierung von Habitaten erhöht sich auch das Verhältnis von Umfang zur Fläche - ein großes Waldgebiet hat weniger Randbereiche als viele kleine. Dies erhöht somit auch den Einfluss des edge effects, und in vielen kleinen Fragmenten des atlantischen Regenwalds bleibt kaum noch Platz für ungestörte Kernflächen, die unbeeinflusst von äußeren Einflüssen bleiben. Dies stellt natürlich auch für die Fauna ein großes Problem dar, als bekanntes Beispiel sei hier auf den Fall des Goldenen Löwenäffchens (Leontopithecus rosalia) verwiesen. Durch eben die Fragmentierung des atlantischen Regenwalds wurde das Habitat dieser Art so weit verkleinert, dass es am Rande des Aussterbens stand und nun durch Zucht- und Wiederaussiedlungsprogramme versucht wird, die Populationen zu vergrößern. Auch die illegale Jagd ist ein Problem, da die ohnehin gestörten Populationen größerer Herbivoren zusätzlich dezimiert werden. Durch ihre soziale Lage sind jedoch viele Menschen gezwungen, auf diese zusätzliche, günstige Nahrungsquelle zurückzugreifen. Ich finde, man kann die Schuld hier nicht abladen, denn wäre der Wald ungestört und zu großen Teilen in gutem Zustand erhalten, wäre die Entnahme von Lebewesen zur Nutzung, wie es ja traditionell immer war, auch kein Problem. Aber das hilft den heute bedrohten Tier- und Pflanzenarten auch nicht, daher ist das Schaffen eines Bewusstseins durch (Umwelt-) Bildung unabdingbar für eine nachhaltige Entwicklungsstrategie.
Waldrand |
Auch sonst läuft einem das ein oder andere Viech über den Weg... |
...daher ist bei der Feldarbeit besondere Vorsicht notwendig. Größere Tiere begegenen einem aber so gut wie gar nicht, viele Säugetiere werden auch aktiv bejagt |
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Bezeichnend: Das Logo der NGO "SOS Mata Atlântica" (Quelle: www.sosma.org.br) |
Um diesen Effekt zu testen, markierten wir 1030 juvenile Baumindividuen in sieben Dauerflächen (20 x 20 m) in einem großen Patch von atlantischem Regenwald im nordöstlichen Bundesstaat Alagoas in Brasilien (Coimbra, s. Karte oben). Juvenile haben wir definiert als alle Individuen, die zwischen 100 und 250 cm hoch sind. Die Dauerflächen wurden als Koordinatensysteme genutzt (quasi von oben gesehen), so dass jedem Baum eine Punktkoordinate zugeordnet wurde, um Aussagen über die Abstände machen zu können. Von jedem markierten Baum wurde ausserdem ein repräsentativer Astabschnitt mit Blättern abgeschnitten und mitgenommen, um Individuen derselben Art erkennen zu können. Ausserdem wurde der Brusthöhendurchmesser für jedes juvenile Individuum gemessen.
Viel Material ist nicht nötig: Utensilien zum Aufschreiben, Höhe und Brusthöhendurchmesser aufnehmen, Bäume markieren, Plots einmessen und Proben nehmen |
Ecke eines Plots |
Ein markierter juveniler Baum |
Zuordnen von Pflanzenproben zu Morphotypen, also nach optisch identischen Merkmalen |
Realer Plot |
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Erstellte Karte mit Vermerken aller juvenilen Baumindividuen desselben Plots |
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Verhältnis von mittlerer Distanz konspezifischer Individuen zu deren Häufigkeit |
Was kann man nun davon mitnehmen? In Bezug auf den Janzen-Connell Effekt ist zu sagen, dass er natürlich nur eine Hypothese ist, die getestet werden kann, aber nicht stimmen muss. In der Literatur sind in der Tat gegenläufige Meinungen zu hören, es gibt sowohl Befürworter als auch Gegensprecher wie auch Experimente, die die Hypothese untermauern bzw. untergraben, wobei erstere überwiegen. Natürlich gibt es auch in der Methodik Ansatzpunkte,über die diskutiert werden kann, einmal natürlich die mangelnde Möglichkeit der genauen Identifikation (selbst Experten, welche sowieso ständig ausgebucht sind, haben Schwierigkeiten mit der genauen Artbestimmung), sowie der relativ geringe Stichprobenumfang. Es mag sein, dass bei einer größeren Zahl an gemessenen Individuen bzw. Plots ein genauerer Effekt herauszulesen ist. Ausserdem ging es hier nur um die Distanz von juvenilen Individuen zueinander, die adulten Bäume wurden vollkommen ausser Acht gelassen. Man weiß also nicht, von welcher Distanz diese in die Plots eingewandert sind bzw. ob überhaupt Elterbäume im Plot vorkommen. Die Samen von durch Tiere verbreitete Bäume können mitunter große Strecken zurücklegen, und die Plots haben eine Größe von 20 x 20 m. Auch die Gruppierung von Individuen derselben Art könnte dazu führen, dass trotz weniger Vorkommen eine geringe Distanz zwischen diesen besteht.
Die weiteren Ergebnisse (Einfluss des edge effects - gleiche Analyse in Regenwaldfragmenten statt wie hier in einem großen Patch zum Vergleich) sind noch nicht veröffentlicht, daher kann bzw. darf ich an dieser Stelle nichts dazu sagen.
Ich möchte hier auch keine seitenlange Diskussion dazu schreiben, sondern wollte eher einen Einblick in die Arbeitsweise der tropischen Ökologie und einen Überblick über das Ökosystem Mata Atlântica und den Janzen-Connell Effekt geben. Für Menschen mit Interesse an dem Thema habe ich noch ein paar Quellen, in denen auch weiterführende Literatur angegeben ist, ans Ende gestellt.
Der Text dreht sich um Erfahrungen, die ich während meines Praktikums am Laboratório de Ecologia Vegetal der Universität Recife (UFPE) im Frühjahr und Sommer 2011 gemacht habe. Besonderer Dank geht an die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Marcelo Tabarelli, insbesondere an Edgar Silva, der mein Betreuer war und von dessen Doktorarbeit mein Projekt ein Teil war.
Weiterführende Quellen:
CLARKE, D. A. & CLARKE, D. B. (1984): Spacing Dynamics of a Tropical Rain Forest Tree: Evaluation of the Janzen-Connell Model. The American Naturalist 124: 769 - 788.
LEVEY, D. J., SILVA, W. R. & GALETTI, M. (2002): Seed dispersal and Frugivory: Ecology, Evolution and Conservation. CABI Publishing, Wallingford. 511 S.
JANZEN, D. H. (1970): Herbivores and the Number of Tree Species in Tropical Forests. The American Naturalist 104: 501 - 528.
MYERS, N., MITTERMEIER, R. A., MITTERMEIER, C. G., DA FONSECA, G. A. B. & KENT, J. (2000): Biodiversity Hotspots for conservation priorities. Nature 403: 853 - 858.
RIBEIRO, M. C., METZGER, J. P., MARTENSEN, A. C., PONZONI, F. J. & HIROTA, M. M. (2009): The Brazilian Atlantic Forest: How much is left, and how is the remaining forest distributed? Implications for conservation. Biological Conservation 142: 1141 - 1153.
SWAMY, V. & TERBORGH, J. W. (2010): Distance-responsive natural enemies strongly influence seedling establishment patterns of multiple species in an Amazonian rain forest. Journal of Ecology 98: 1096 - 1107.
TABARELLI, M., LOPES, A. V. & PERES, C. A. (2008): Edge-effects Drive Tropical Forest Fragments Towards an Early-Successional System. Biotropica 40: 657 - 661.
WIRTH, R., MEYER, S. T., ALMEIDA, W. R., ARAÚJO JR., M. V., BARBOSA, V. S. & LEAL, I. R. (2007): Increasing densities of leaf-cutting ants (Atta spp.) with proximity to the edge in a Brazilian Atlantic Forest. Journal Of Tropical Ecology 23: 501 - 505.
Informationen des IUCN über das Goldene Löwenäffchen
Homepage der NGO SOS Mata Atlântica (portugiesisch)
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Micha
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